Weibliche Spiritualität und Individuation

C.G. Jung

„MIR GESCHEHE NACH DEINEM WORT!“ – ZUR INDIVIDUATION DER FRAU

Diese Worte können provozierend katholisch wirken, haben aber nichts mit einer frommen, passiven und oberflächlichen Haltung zu tun. Sie bedeuten im Gegenteil, die bedingungslose aktive Annahme des Schicksals, des Lebens wie es sich erfüllt oder eben nicht erfüllt. Die Worte: „Mir geschehe wie Du gesagt hast“ begleitet im Speziellen den weiblichen Individuationsweg. Diese Worte auszusprechen fallen einer Frau von heute vermutlich besonders schwer, da sie aufgrund der erfahrenen Sozialisierung oft nicht mehr dazu fähig ist, Kontrolle abzugeben, Damit geht die entscheidende Fähigkeit der Frau verloren, nämlich die Fähigkeit der Hingabe an das Leben in seinen hellen und vor allem dunklen Aspekten.

Die Zunahme von Burnout und Depressionen bedeuten im Speziellen für die Frau, sich der Erfahrung von Ohnmacht, Schwäche, Erschöpfung, Hoffnungslosigkeit, somatischen Problemen, Schlafstörungen etc., stellen zu müssen. Damit verbunden ist das bedingungslose Jasagen zum damit einhergehenden Kontroll- und Machtverlust. Deshalb:

Eine Veränderung geschieht (zwangsläufig) erst dann, wenn sich die einzelne Frau aus ihrer individuellen Not, Schmerz und Einsamkeit heraus aufmacht, sich ihrer eigenen Seele, dem Unbewussten, zuzuwenden. Sie begegnet da nun auch ihren dunklen Abgründen, welche leider nicht in ein paar Weiterbildungskursen aufgearbeitet werden können, denn allein das Leben selbst in seinen Grenzsituationen ist es, welches alles zutage fördert, was wir an uns nicht wahrhaben wollen. Erschwerend an diesem Prozess ist nun speziell für die Frau, dass sie dabei die Erfahrung machen kann, dass sie weit weniger friedlich und kommunikativ ist, als sie bis anhin angenommen hat. Auch werden auf diesem Weg die krampfhaften Versuche „nett, friedlich und versöhnlich“ zu bleiben, ab absurdum geführt.

Zu dieser vielleicht provozierenden Annahme veranlasst mich meine eigene Lebenserfahrung, sowie die langjährige Berufserfahrung als Psychotherapeutin in der Begleitung von Frauen.

In meiner einerseits psychotherapeutischen, andererseits auch spirituellen Tätigkeit als Psychotherapeutin geht es mit darum, einen weiblichen Individuationsweg zu beschreiten, welcher die einzelne Frau auf diesem Weg u.a. ihre weibliche Menschlichkeit wiederfinden lässt. Diese beinhaltet das Anerkennen von Grenzen und der damit einhergehenden Hingabe an etwas mir Übergeordnetes, ein DU, im Sinne der eierwähnten Worte:

„Mir geschehe nach Deinem Wort“

Diese Worte, von einer auf diesem Weg „Mensch gewordenen Frau“ gesprochen, haben nun nichts mit einer abgehobenen Frömmigkeit oder der Haltung „Gutsein allein genüge“, zu tun.